Gottesdienst für Ungläubige
Kölner Stadtanzeiger, 27. Januar 07, von ANDREAS POULAKOS 

Verkehrte Welt in St. Aposteln: Streng blicken die Heiligen von ihren Sockeln auf ein lustbetontes Spektakel, das sich direkt vor ihren Füßen abspielt. Vor dem Altar lümmeln sich Dutzende junge Leute auf Kissen und Perserteppichen und genießen eine Mischung aus elektronischen Klangflächen und Lichteffekten, die den Innenraum in ein Meer von Formen und Farben tauchen.

Die katholische Kirche am Neumarkt ist Schauplatz des Ambient-Festivals “Zivilisation der Liebe”. Veranstalter ist das Kölner Label “E’ de Cologne”, das seinen guten Ruf mit Technopartys erworben hat. An drei Tagen wird in der Kirche jeweils ab 22 Uhr eine Musikrichtung gefeiert, die selbst innerhalb der elektronischen Szene ein Randgruppen-Phänomen geblieben ist: Ambient verzichtet auf klassische Songstrukturen und meist auch auf Perkussion und Rhythmus. Soundflächen, räumliche Effekte und Geräusche fließen ineinander und erzeugen in ihrer ruhigen Eindringlichkeit eine meditative Atmosphäre.

“Es ist wie ein Gottesdienst für Ungläubige”, sagt Labelchef Dietmar Saxler, der das Festival schon zum dritten Mal organisiert. Tatsächlich übt der Ort einen deutlichen Einfluss auf das Verhalten der Besucher aus: Sie reden leise und bewegen sich langsam. Die Atmosphäre schwankt zwischen Besinnlichkeit und Hypnose - einer Stimmung, von der manche Prediger nur träumen können.

Der Gemeindepfarrer habe das Projekt stets unterstützt, erklärt Saxler. Selbst die Gemeindevertreter, die dem Festival zunächst sehr kritisch gegenübergestanden hätten, seien nach einem Besuch im letzten Jahr versöhnt gewesen. Wie zur Bestätigung tauchen zwei Nonnen auf und verabschieden sich vom Partyveranstalter mit einem wohlwollenden Klaps. Für DJ Jo Saurbier vom Kompakt-Label, der seit Jahren auf Partys in aller Welt auflegt, ist der Einsatz vor sakraler Kulisse etwas ganz Besonderes. “Sobald du hinterm Pult stehst, dauert es keine zehn Minuten, bis dich die Atmosphäre überwältigt.” Und der blasphemische Kitzel spielt gar keine Rolle? “Als ein Kollege eben sagte »Ich geh’ raus, einen Wodka trinken« hatte ich so einen Anflug.” Aber die Musik sei keinesfalls ein störender Fremdkörper an diesem Ort. “Für mich ist das unsere Klassik.”

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St. Aposteln voller Klänge und Licht
Kölnische Rundschau, 30. Januar 07
Sphärische elektronische Klänge in ungewöhnlicher Atmosphäre waren in den letzten Tagen in St. Aposteln zu hören. Das Ambient-Festival “Zivilisation der Liebe” lockte auch in diesem Jahr einige hundert Zuschauer in die Kirche. Szene-DJs und Sound-Künstler zeigten die Vielfältigkeit dieser Art der elektronischen Musik, untermalt von eindrucksvollen Illuminationen.

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Musik als Tapete zur Andacht
Köln erlebte ein Festival unter dem Titel “Zivilisation der Liebe”.
Kölner Stadtanzeiger, 17.12.05, von CHRISTIAN BOS 

Vor den Statuen von Aposteln und Heiligen greift der junge Mann hinterm DJ-Pult bedächtig zum Tonarm, zwischen den Turntables leuchtet in changierenden Farben ein kleines Weihnachtsbäumchen. Langsam werden gesampelte Sounds ineinander überblendet. Eine Ahnung von Chören haucht durch den Westbau der Basilika. Glockentöne, lang gezogene Beckenschläge, der Nachhall eines schweren Gongs. Vor dem DJ-Pult sitzen, liegen, lümmeln sich die Wellenempfänger im Halbdunkel auf Kirchenbänken und eigens ausgelegten Kissen und Perserteppichen. Das unvorhersehbare Knistern der Vinylrillen ersetzt ihnen den Kamin.

Das vorweihnachtliche Ambient-Festival “Zivilisation der Liebe” - organisiert vom Elektronik-Label E’ de Cologne - lockte in drei Nächten Hunderte junge Besucher in die Kölner Kirche St. Aposteln. Besucher, die wohl kaum je ohne ihre Eltern bei einer Andacht zugegen waren. Die drei bekannten Kölner Labels Kompakt, Karaoke Kalk und Traum gestalteten je einen Abend in der Basilika am Neumarkt. Und Szenegrößen wie etwa Dominik Eulberg - sonst immer gut für das hart treibende Techno-Brett zur schwitzigsten Clubstunde - traten in den geweihten Räumen mit Nachdruck auf die Bremse, während violette, geriffelte Kreise und Strohsterne aus weißem Licht an den hohen Decken des Kirchengewölbes entlangwanderten.

Als einen Gottesdienst habe er sein DJ-Set empfunden, wird Jan-Eric Kaiser vom Kompakt-Label später sagen. Das Kölner Techno-Flagschiff bringt seit Anfang des Jahrtausends einmal jährlich seine „Pop Ambient“-Compilation heraus. “Musik, die Schmerzen lindert, die andere Musik verursacht”, wie es sehr hübsch in der Eigenwerbung heißt. Mit der „Pop Ambient“-Reihe hat Kompakt zur rechten Zeit die Hinwendung des Zeitgeistes zum Versonnenen und Verzauberten aufgenommen, die uns in der Massenkultur Harry Potters und die “Herr der Ringe”-Filme bescherten.

Die Idee einer raumfüllenden, angenehmen, dennoch im Hintergrund verbleibenden Musik ist wesentlich älter. Der französische Avantgardist Erik Satie komponierte von 1917 bis 1923 fünf kurze Stücke, die er als “musique d’ameublement” bezeichnete. Dieser Musik als Möbel wies Satie sogar ihren jeweiligen Ort zu: “Tapete im Büro eines Präfekten”, “Im Salon”. Seine Musikmöbel, so Satie, sollten die vorhandene Einrichtung komplettieren, sie sollten weder nach wiederholtem Hören ermüden noch langweilen.

Kurz darauf gründete auf der anderen Seite des Atlantiks, in South Carolina, der amerikanische General a.D. George Owen Squier die Firma Muzak Inc., die sich der Produktion von Hintergrundmusik verschrieben hatte, durch die vor allem die an Maschinen angepassten Arbeitsabläufe des industriellen Zeitalters angenehmer gestalten sollte. “Langweilige Arbeit wird weniger langweilig durch langweilige Musik”, lautete der großartige Slogan des Unternehmens. Kein Wunder, dass Kaufhaus- oder Fahrstuhlmusik im Englischen bis heute schlicht als Muzak bezeichnet wird.

Doch mit dem Aufkommen der Popkultur wurde solche aller Spitzen im Arrangement beraubte Musik bald als nervtötendes Gedudel diffamiert. Jugend definierte sich jetzt über Musik. Dieselbe als schnödes Gebrauchsmittel zur Konsum-Förderung zu benutzen war folglich verpönt.

Diese Einstellung änderte sich erst, als auch die Rockmusik fragwürdig geworden war. Brian Eno, Klangbastler, Musiktheoretiker, Visionär und schräger Vogel, hatte bereits als Mitglied von Roxy Music eifrig Rock ‘n’ Roll dekonstruiert. 1978 veröffentlichte er sein Album “Music for Airports / Ambient 1″ und mit ihm sein Manifest der Ambient Music.

Darin verwarf Eno zwar die leichtgewichtigen Klangkonserven von Muzak Inc., erklärte aber gleichzeitig seine Überzeugung, dass es möglich sei, Hintergrundmusik zu produzieren, die nicht von jeglichen Zweifeln und Unsicherheiten befreit - sprich: glatt gebügelt - ist. Enos Ambient Music soll beruhigen und zum Denken anregen. Sie kann gleichermaßen ignoriert werden und zum genauen Hinhören einladen. “Music for Airports” wurde tatsächlich zur Beschallung eines Terminals des New Yorker La-Guardia-Flughafens verwendet. Vor allem aber begründete “Ambient 1″ ein Genre, in dem sich bis heute Musiker aus so unterschiedlichen Bereichen wie Techno, Jazz, Neue Musik oder Black Metal treffen.

Eigentlich gehe es nicht um Hintergrund, sondern um Versenkung, sagte der britische Musikjournalist David Toop einmal in einem Interview über Ambient. Womit wir zurück in der Kirche am Kölner Neumarkt wären. Er wolle die Nächte erobern, sagt Christoph Biskupek, Pfarrer von St. Aposteln. Das ist ihm gelungen. Und E’-de-Cologne-Chef Dietmar Saxler erzählt: “Dass mir jemand sagt, hier fühle ich mich so wohl wie in meinem Lieblingsclub, hat mich verwundert.” Uns verwundert das nicht. Das Schwappen der Wellen, der Widerhall der Erde, das Pulsieren der Sterne füllt die Basilika. Ein Lichtstern gleitet über das Gesicht eines steinernen Heiligen. Wir lauschen andächtig. David Toop sagt: “Es gibt gar keine Hintergrundmusik.”